Netzwerk zu den Themen Transformation – New Work – Inner Work; pro-aktives Umgehen mit dem Faktor Mensch

Im Oktober 2019 treffen sich drei Frauen. Sie arbeiten in unterschiedlichen Bereichen. Die eine hat Architektur studiert und arbeitet zum Thema Räume und Raumwirkung. Die andere ist Psychologin und arbeitet für Unternehmen unter der Überschrift Potenzialentwicklung. Und die Dritte ist Sozialpädagogin, Supervisorin und wird von Unternehmen gerne zu Themen wie Veränderungsmanagement, Krisenmanagement, Stressbewältigung, … beauftragt.

Aktuell wird viel über Transformation gesprochen. In dem Zusammenhang fällt uns auf, dass so wenig Wirksamkeit beim einzelnen Menschen ankommt. Wir beobachten, dass viel Energie, Zeit, Gelder in Methoden investiert wird, diese auch angewandt werden, die Arbeit der Menschen aber nicht leichter und beweglicher wird. Wir stellen uns die Frage; Warum laufen Transformationen wieder nach dem gleichen Schema wie Veränderungsprozesse ab – zu wenig menschorientiert, vorwiegend prozessoptimierend. Es scheint, als wenn die Idee gelebt wird, dass der Mensch sich durch die Anwendung agiler Methoden in seiner Haltung schon verändern wird.

Wir drei lieben das, was wir tun. Nur, wie wir es tun, führt regelmäßig in kleine oder auch größere Frustrationssituationen. Wir waren uns einig:

Raus aus dem eigenen Saft; Frischekur mit/für Menschen, die wirklich etwas anders machen wollen.

Wir wissen:
  • … warum jede einzelne und wir uns bewegen wollen
  • … wir wollen anders
  • … wir wollen zusammen
  • … wir wollen neu
Wir wissen nicht:
  • … was das Neue ist
  • … ob es jemand versteht
  • … wie sich jede einzelne verändern wird
Wir beginnen. Erst einmal haben wir nur zwei Verabredungen:
  1. Wir treffen uns regelmäßig zum Austausch und zur Auseinandersetzung. Wir wollen, trotz und gerade wegen der Unterschiedlichkeiten, gemeinsam am Thema „Faktor Mensch“ zusammenarbeiten.
  2. Wir wollen uns einen gemeinsamen „Raum“ der Arbeit schaffen und jede einzelne gestaltet ihren eigenen „Raum“. Es gibt keine Abhängigkeiten.

Auf Grund der km-Entfernungen entsteht erst einmal ein eigener virtueller Raum für unser kleines Netzwerk; Trello, Dropbox, Video – Digitalisierung macht’s möglich.

Schon im zweiten Treffen wird merkbar, dass wir immer wieder Wert auf die Gestaltung unserer Streitkultur legen wollen. Wir sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, haben ganz unterschiedliche Geschichten, die Arbeits- und Denkweisen unterscheiden sich; das was gemeinsam ist, ist die innere Haltung: Neues entsteht nur aus einem Zusammenbringen und einem Aushalten von Verschiedenheit. Wir sind uns einig, dass jede aus dem eigenen Saft raus will.

Streitkultur 1:

regelmäßig selbst stoppen. An- und Aushalten, Lernen über den eigenen Gedanken, das eigene Empfinden hinaus zu gehen

In diesem einen Jahr hat sich jede von uns Dreien regelmäßig stoppen müssen und wollen, um dem anderen erst einmal zuhören zu können, auch wenn der eigene Kopf „Quatsch“, „Geplapper“, „das geht doch nicht“, „zu langsam, ich will Ergebnisse“, „wieder ist kein Text entstanden“, … hämmerte. Dem alten, schnellen Denken, dem Denken, das glaubt zu wissen, wie es gehen soll, ein bewusstes STOP setzen und schauen, was wird dadurch anders. Das war bereichernd und führt dazu, dass wir regelmäßig auf ganz neue Themen, Ideen und Methoden kommen, die wir vor unserem Austausch gar nicht erwartet hatten.

Streitkultur 2:

alles offen ansprechen (was da im Hirn tackert ansprechen)

Wir haben uns verabredet und tun es: das, was der Kopf in seiner alten Gewohnheit plappert auszusprechen, kundzutun, ohne zu bewerten. Nur die Wirklichkeit aussprechen; ja, es ist wahr, dass es mir zu langsam geht, ja, es ist wahr, dass Zweifel da sind, ja, es ist wahr, dass ich Angst spüre, dass diese Arbeit zu nichts Neuem führt, … ja, ich stoße an meine Grenzen (z.B. technische Grenzen), ja, ich verstehe gerade nicht, …

Unter der Überschrift „Transformation“ kam es neben der intensiven Beschäftigung und Recherche zum Thema zur Sammlung unserer eigenen Expertise. Durch Selbst- und Fremdbild zu den Fragen „Was haben wir, was können wir?“ – entstand eine aufschlussreiche Sammlung, bei der jede von uns staunte, was alles vorhanden ist. Wenn wir heute da hineinschauen, staunen wir immer noch. Das gibt Kraft und Schub.

Natürlich haben wir uns in der Anfangsphase auch ganz brav mit unseren Zielen beschäftigt. Die sind heute insofern interessant zu sehen, wie sie sich mit zunehmendem Eindringen in die Thematik veränderten. Aus der New Work Auseinandersetzung entstand ein Leitthema „Worklife Transformation“ festgehalten in unserem Netzwerk-Logo.

Im November „drohte“ ein potenzieller Kunde mit einem Auftrag. Er befand sich in einer räumlichen Umstrukturierung und stellte sich die Frage; „Wie nutze ich den Schwung der neuen Räumlichkeiten, um bei dem Thema „Moderne Führung“ voranzukommen?“. Es war eine Verführung. Wir hätten ausreichend methodisches Material gehabt, mit unserer erarbeiteten Tool-Bibliothek ein passendes Angebot zu entwickeln. Neben anderen dagegensprechenden Rahmenbedingungen, stellten wir uns die entscheidende Frage; „Worum geht es hier? Warum will der Kunde seine „neuen Räumlichkeiten“ mit dem Thema „Moderne Führung“ verknüpfen? Warum jetzt?“ Nach der Analyse wurde deutlich, dass der Weg, den sich der Kunde vorstellt von Außen nach Innen gehen soll. Er hatte die Hoffnung, mit neuen Räumen und einem sogenannten „Modernen Führungsstil“, seine Mitarbeiter*innen zu mehr Engagement, mehr Energie und mehr Ideen veranlassen zu können. Unter dem Motto; wenn ich euch neue Räume und einen neuen Führungsstil gebe, dann gebt mir bitte auch was zurück. Dabei ist uns klar geworden, dass New Work mit Inner Work beginnen muss.

Was wir wirklich, wirklich wollten und wollen ist, Leben zu gestalten indem Arbeit ein Teil und nicht weiter losgelöst vom eigenen Leben zu erfahren ist. Transformation (Umwandlung, Umgestaltung) des Arbeitslebens (Worklife), bei dem, was ich tue einen eigenen, selbstentschiedenen und selbstverantworteten Sinn zu erleben, zu haben.

Nicht nur die Ziele verändern sich stetig, auch die Hauptüberschriften: aus Transformation ist New Work und aus New Work Inner Work geworden. Wo wir uns zu Beginn mit agilen Methoden auseinandergesetzt haben, wenden wir sie heute selbst an. Wir brauchen keine neue Methodenschulung mehr. Wir brauchen neue Denkweisen.

Transformation funktioniert für uns nur über ein Verstehen von „Neuer Arbeit“. VUCA Welt ist hier nur ein Schlagwort von vielen, um die Gegenwart greifbarere zu bekommen: Unberechenbarkeiten, Überraschungen, Mehrdeutigkeiten und technische Herausforderungen merken wir, seitdem wir uns hier zusammengefunden haben.

Unberechenbarkeiten sind z.B. die Störungen, die von außen immer wieder neu, immer wieder anders eindringen. Keine von uns lebt losgelöst von den Ereignissen, Geschehnissen, Meinungen, … anderer und jede von uns und wir gemeinsam mussten und wollten uns bei jedem Treff ehrlich begegnen und neu justieren. Es geht uns nicht mehr NUR um die Entwicklung eines Produktes, nicht mehr NUR um das Geld verdienen; es geht uns um mehr, um ein Arbeiten als Teil des eigenen Lebens und um ein bewusstes und selbstverantwortetes Gestalten dessen. Insofern hat sich unser Schwankungsbereich (Volatilität) von einem „wir wollen ihn im Griff haben“ zu einem „wir leben mit den Schwankungen und machen etwas aus ihnen“ bewegt. Wir merken, dass das ein hoher Anspruch und immer wieder anstrengend ist, immer wieder neu zu justieren, immer wieder neu auszugleichen, immer wieder auf dem Weg „Umwege“ mit neuen Erkenntnissen, neuen Eindrücken, neuen Möglichkeiten, neuen Entscheidungen zu nehmen.

Überraschungen, die Unsicherheit/ Ungewissheit hervorrufen, negative wie auch positive brachten uns immer wieder in eine Art Rüttelmaschine. Eine Situation und / oder eine Idee, die vor einer Woche noch nicht auf der Schippe lag, liegt heute drauf; was nun? Bisher haben wir uns immer für ein Durchsieben entschieden, auch wenn es uns für kurze Zeit vom verabredeten Thema ablenkt, waren wir am Ende einer jeden Runde jedes Mal begeistert, wie das „Durchsieben“ unseren nächsten Schritt bereichert hat.

Komplexität sind wir im Leben und Arbeiten schon immer gewohnt. In Linie arbeiten konnten wir noch nie so richtig gut. Bei der einen mehr, bei der anderen weniger. Komplexität (Vielschichtigkeit; das Ineinander vieler Merkmale) in der VUCA Welt ist eher etwas, was uns Drei neugierig macht, angenehm herausfordert, am Knochen der Komplexität kauen lässt; was steckt drin, wie sieht die Dynamik aus, wie kann die Dynamik wertvoll gestaltet werden, … Dynamik in und zwischen Menschen, Dynamik zwischen Mensch und Produkt, …

Mehrdeutigkeit (Ambiguität) versus Kausalität (wenn … dann …); wenn wir uns intensiv mit einem Thema beschäftigen und uns bemühen, dieses zu durchdringen, dann werden wir unsere Expertise bei Kunden anwenden können. Diese Vereinfachung trifft nicht zu. Es macht Freude tief zu denken und zu spüren, querzudenken, altes Denken loszulassen, neues auszuprobieren. Es ist auch anstrengend zu erleben, ich kann es nicht, ich verstehe es nicht, das muss doch gehen und es funktioniert nicht. Es kann sogar unangenehm sein, die eigenen Bremsen zu spüren. Und doch ist es Leben und eine Beschäftigung in Mehrdeutigkeiten.

Nach einem Jahr bewegen wir eine Idee: „Der 5. Tag“. Die Idee entstand über die Frage „Wie kann es gelingen, dass Arbeit, dass Unternehmen, dass Menschen sich öffnen für das Leben, das rundherum lebt?“. „Der 5. Tag“ einer Arbeitswoche: kann es gelingen, dass dieser Tag gefüllt wird mit Tätigkeiten, die ich wirklich, wirklich will und die nicht direkt etwas mit einem Zahlengewinn zu tun hat? Kann es sein, dass Menschen mit und durch die Gestaltung des 5. Tages einen Mehrwert für sich, für andere und auch für ihr Unternehmen erleben und erfahren? Kann es sein, dass durch eine Öffnung der direkten Arbeitswelt neues, frisches und gesundes Leben in Mensch und Unternehmen strömt?

Wir sind gespannt und neugierig, wo uns diese Idee hinführen wird, wo wir in einem Jahr sein werden.